Imprägnierung reichert sich in Umwelt an
Wasserabweisende, funktionelle Outdoorbekleidung geriet wegen umweltschädlicher Imprägniermittel in die Kritik. Wo genau liegt das Problem? Der ETH-Chemiker Martin Scheringer gibt Auskunft.
Die Umweltorganisation Greenpeace stellte in den vergangenen Monaten den Grossverteiler Migros an den Pranger. Letzterer hatte eine Kinder-Outdoorjacke im Angebot, die mit einer für Umwelt und Gesundheit problematischen Substanz, einem fluorhaltigen Imprägniermittel, behandelt war. Martin Scheringer, Privatdozent am Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften, befasst sich mit Chemikalien, die sich in der Umwelt anreichern. Im Rahmen des Forums «Molekulare Wissenschaften» des Departements Chemie und Angewandte Biowissenschaften (D-CHAB) hielt er am Mittwoch einen öffentlichen Vortrag zur Problematik von fluorierten Imprägniermitteln für Outdoor-Bekleidung. ETH Life hat sich aus diesem Anlass mit ihm unterhalten.
Herr Scheringer, bemängelt
Greenpeace die imprägnierten Kinderjacken zu Recht?
Im Fall der Kinder-Outdoorjacke von Migros legt die
Umweltorganisation den Finger auf die Klasse der poly- und perfluorierten
Alkylsubstanzen (PFAS). Ein Grossteil der modernen Outdoorbekleidung –
wasserdichte Jacken oder Bergsteigerhosen beispielsweise – sind mit Substanzen
dieser Klasse imprägniert. Auch handelsübliche Imprägniersprays enthalten diese
Chemikalien. Aus Umwelt- und Gesundheitssicht muss man sie tatsächlich als
problematisch einstufen.
Weshalb?
Diese Chemikalien sind extrem langlebig, und sie reichern
sich in der Umwelt und in der Nahrungskette an. PFAS werden seit den
1970er-Jahren in zunehmenden Mengen eingesetzt. Bei Herstellung und Gebrauch von
Kleidungsstücken gelangen sie in Gewässer und in die Luft. Weil die Substanzen
nicht abgebaut werden, baut sich die Konzentration dieser Stoffe in der Umwelt stetig
auf. Das ist irritierend, ungewöhnlich und unerwünscht.
Wie giftig sind die Substanzen?
Ich muss vorausschicken, dass ich kein Toxikologe bin. Die
Klasse der PFAS ist gross und die einzelnen Chemikalien unterscheiden sich in
ihrer Toxizität. Einige toxikologische Studien zeigten bei Tieren eine leberschädigende
Wirkung auf. Andere Studien wiesen bei Tieren ein verringertes Geburtsgewicht
von Nachkommen nach. Die Stoffe sind nicht stark akut giftig. Man muss jedoch
davon ausgehen, dass sie eine langfristige schädigende Wirkung haben, zum
Beispiel stehen sie im Verdacht, die Spermienzahl beim Menschen zu vermindern. Die
in der Kinderjacke von Migros nachgewiesene Substanz – Fluortelomeralkohol – ist übrigens nicht die
allergiftigste dieser Substanzen, sie ist einfach eine von vielen. Doch auch diesen
Fall muss man als problematisch einstufen.
Auch, weil es sich bei Kinderjacken um einen
Spezialfall handelt, nehme ich an.
Ja, gerade bei
Kindern ist grosse Vorsicht geboten bei der Exposition durch Giftstoffe. Ein
grundsätzliches Problem bei Jacken ist, dass man sie nahe am Körper trägt. Bei
Kindern kommt dazu, dass bei ihnen der Hand-zu-Mund-Kontakt ausgeprägt ist und
sie auch einmal den Jackenärmel in den Mund nehmen. So können sie die Stoffe auch
oral aufnehmen. Aus Luftmessungen in Outdoorgeschäften ist zudem bekannt, dass
sich die Imprägniermittel verflüchtigen. Sie können somit, vor allem in
Innenräumen, auch über den Atem in den Körper gelangen.
Warum kommen diese Chemikalien überhaupt zum
Einsatz?
PFAS haben
einzigartige Eigenschaften. Sie weisen sowohl Wasser als auch Schmutz ab. Nur
wenige Chemikalien vereinen diese beiden Eigenschaften. Chemisch gesehen
verdanken sie dies einer langen Kette von Fluoratomen, einer sogenannten
Perfluorkette. Diese Kette geht sowohl mit Wasser als auch mit Fetten nur sehr
schwache Wechselwirkungen ein. Sie ist aber auch der Grund der
Umweltproblematik.
Inwiefern?
Die Perfluorkette
wird in der Umwelt so gut wie gar nicht abgebaut. Um die Kohlenstoff-Fluor-Bindung
zu brechen, müsste man die Substanz bei sehr hohen Temperaturen verbrennen.
Solche Bedingungen gibt es in der Natur nicht. Auch gibt es keinen
Mikroorganismus, der diese Substanzen abbauen würde.
Gibt es keine Alternativen zu diesen
Substanzen?
Selbstverständlich
kann man sich auch wasserdichte Jacken ohne Imprägnierung mit PFAS vorstellen –
Wachsjacken beispielsweise. Doch diese sind schwerer und weniger
luftdurchlässig. Die Industrie versucht nun, für die Imprägnierung Substanzen mit
kürzeren Perfluorketten zu entwickeln. Zwar persistieren auch diese in der
Umwelt, sie reichern sich aber offenbar weniger stark in der Nahrungskette an. Trotz
erster solcher Bemühungen würde ich mir allerdings wünschen, die
Textilindustrie würde mit Nachdruck gemeinsam mit der chemischen Industrie nach
Alternativen suchen. Es gibt mittlerweile fluorfreie Produkte auf dem Markt,
welche Imprägnierung gegen Wasser ermöglichen, aber es muss auch eine genügend
grosse Nachfrage danach aufgebaut werden.
Werden die PFAS auch für andere Anwendungen
verwendet?
Es gibt schmutzabweisende Teppiche, die mit PFAS imprägniert
sind. Ausserdem sind Hamburger- und
Pizzaschachteln damit beschichtet. Ich persönlich schätze die
Lebensmittelverpackungen sogar als noch problematischer ein als die
Imprägniermittel für Textilien, denn aus ihnen können die Chemikalien in die Nahrung
gelangen, besonders wenn die Nahrungsmittel warm sind. Man kann die PFAS übrigens
in Industrieländern im Blut der meisten Menschen nachweisen.
PFAS sind dennoch erlaubt.
Es gibt eine
Grosszahl an verschiedenen PFAS. Eines davon, Perfluoroktansulfonat (PFOS), wird
mittlerweile von der Stockholmer Konvention für langlebige organische
Schadstoffe geregelt. PFOS wird heute nicht mehr in Imprägniermitteln
verwendet und wurde auch in den Greenpeace-Studien nicht gefunden. Andere PFAS
dürfen aber weiterhin verwendet werden. Hersteller und Händler verstossen nicht
gegen das Gesetz.
Zur Person
Martin Scheringer (47) ist Chemiker und Privatdozent am Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften. Sein Hauptforschungsgebiet sind Umweltrisikoanalysen von Chemikalien, insbesondere von langlebigen Stoffen. Dabei untersucht er, aus welchen Quellen diese Substanzen freigesetzt werden und mittels Computermodellierungen, wie sie sich in der Umwelt verteilen.
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