Good news is bad news
Am diesjährigen IARU (International Alliance of Research Universities) Presidents‘ Meeting im April in Singapur hielt Kishore Mahbubani, Professor für Politikwissenschaften an der National University of Singapore, einen Vortrag zum Thema «GPS – Good News, Problems, and Solutions». Zu den «good news» zählt Mahbubani, einer der provokantesten Intellektuellen Asiens, Verbesserungen und Fortschritte bei der globalen Armutsbekämpfung, der Gesundheitsfürsorge und Entwicklung von Technologien. Gleichzeitig sei die Welt konfrontiert mit Realitäten wie Klimawandel oder Energieversorgung und -sicherheit. Um die globalen Herausforderungen von heute zu lösen, spricht Mahbubani den Universitäten eine wichtige Rolle zu.
Ich
bin einverstanden damit, dass die Universitäten dabei eine wichtige Rolle spielen
können und spielen sollen. Die von Mahbubani genannten Probleme sind meines
Erachtens aber auch die Folge der von ihm genannten «good news». Oder anders
gesagt, «good news» sind häufig auch «bad news». Dies lässt sich gut am
Beispiel China illustrieren. Das Riesenreich im Herzen Asiens steht wie wenige
andere Schwellenländer für eine rasante Entwicklung und höchst beeindruckende
wirtschaftliche Wachstumsraten in der jüngeren Vergangenheit. Die Volksrepublik
investiert riesige Summen in den Aufbau von Infrastruktur,
Gesundheitsversorgung, Forschung und Entwicklung. Viele Menschen schaffen es,
aus ärmlichen Verhältnissen in die Mittelschicht aufzusteigen.
Diese grösser
werdende Mittelschicht steht in vielerlei Hinsicht für die «good news»: Es
werden mehr Autos verkauft, mehr Chinesen verbringen ihre Ferien im Ausland und
tragen so zu einem florierenden Tourismus in den Zielländern bei, und
ausländische Konzerne sehen in der zunehmenden Konsumfreudigkeit und
–möglichkeit der Chinesen lukrative Investitionsfelder. Von diesem
Wachstum profitiert auch die globale
Forschungslandschaft. Mit viel Geld wird die Wettbewerbsfähigkeit der
chinesischen Hochschulen gefördert, viele Universitäten und Institutionen
bieten sich international als Partner an.
Für
wen oder was also soll die Entwicklung Chinas «bad news» sein? Beispielsweise
für die Meere. Das Wachstum der chinesischen Mittelschicht bedeutet auch, dass
immer mehr Chinesen mehr Fisch und andere Meeresprodukte konsumieren und so
dazu beitragen, die Weltmeere leerzufischen. In den letzten Jahren war China
für den Grossteil der weltweiten Zunahme des Fischkonsums verantwortlich. Auch
beispielsweise das offensichtliche Interesse Chinas an Afrika hat nicht nur mit
den Bodenschätzen zu tun, die auf diesem Kontinent lagern, sondern auch stark
mit dessen Meeresressourcen. Chinesische Fischer haben die Europäer, die
zunehmend strengere EU-Gesetze befolgen müssen, als grösste Fangflotte vor der
Westküste Afrikas abgelöst.
Meist fängt diese Flotte alles, was in die Netze oder an die Langleine geht. Gerade in der Hochseefischerei sind dies häufig Haie, deren Fleisch zwar als minderwertig gilt und nahezu wertlos ist, deren Flossen für den chinesischen Markt aber äusserst wertvoll sind. Haiflossensuppe gilt in China als Statussymbol, welches sich die wachsende Mittelschicht Chinas zunehmend leisten kann. Die Nachfrage nach Haiflossen in China ist so gross, dass weltweit lokale Fischer vor allem in Entwicklungsländern dazu übergehen, neben den Fischen für den täglichen Eigenkonsum oder den lokalen Verkauf auch Haie zu fangen, ihnen die Flossen abzuschneiden und sie für wenig Geld an chinesische Zwischenhändler zu verkaufen. Um die Tragweite dieser Entwicklung zu verdeutlichen: Die Margen im globalen Haiflossenhandel werden heute grösser geschätzt als diejenigen im Rauschgifthandel.
Die vermeintlichen «good news», dass in China mehr und mehr Menschen den Aufstieg in die Mittelschicht schaffen, mehr konsumieren und reisen, sind also in vielerlei Hinsicht auch «bad news». Die Fischerei und der damit zusammenhängende Haiflossenhandel sind nur ein Beispiel dafür, ein weiteres wäre der steigende Energiekonsum. Das Beispiel steht stellvertretend für viele Länder. Auch die Schweiz verzeichnet einen zunehmenden Meeresfischkonsum mit vergleichbaren «Nebenwirkungen».
Dass
«good news» manchmal auch «bad news» sind, ist auch eine Frage des
Blickwinkels. Doch die Dinge sind komplex und einfache Lösungen nicht in Sicht.
Universitäten
mit ihrer interdisziplinären Forschung bieten ideale Voraussetzungen, um auf
diese vielschichtigen Fragen Antworten zu finden. Da sie nicht sofort ein
marktgängiges Produkt verkaufen müssen, können sie auch unkonventionelle Wege
gehen, um aus «bad news» doch noch «good news» zu machen.
Zur Person
Den Blick auf die internationale Strategie zeigt der passionierte Hai-Forscher Jürg Brunnschweiler. Der promovierte Biologe arbeitet seit 2002 an der ETH Zürich und leitet seit Oktober 2012 die Stabsstelle ETH Global. Diese ist für die Umsetzung der globalen Strategie der ETH Zürich verantwortlich, welche die wichtigsten strategischen Ziele der Hochschule unterstützt. Neben seiner Tätigkeit an der ETH Zürich zieht es Jürg Brunnschweiler aber immer wieder ans Meer, wo er Haie in ihrem natürlichen Lebensraum erforscht. «Über ihr Verhalten und Ökologie wissen wir immer noch sehr wenig» betont er.
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