In die Männerwelt verirrt?
Tiere streicheln. Den ganzen lieben langen Tag lang! Das war für mich als Mädchen eine Traumvorstellung. Entsprechend war Bäuerin mein erster Berufswunsch. Als mir in der Schule jedoch dämmerte, dass Bauern sehr viel mehr zu tun haben, als Tiere zu pflegen, änderte ich meinen Plan: Nun wollte ich Schriftstellerin werden. Inspiriert von Astrid Lindgren machte ich mich sogleich daran, mein erstes Buch zu schreiben. Die mühsam geschriebene erste Seite war mir am nächsten Tag aber so peinlich, dass sie umgehend im Papierkorb landete – und mit ihr auch mein zweiter Berufswunsch (Oder doch nicht? Immerhin schreibe ich jetzt eine Kolumne…). Leicht ernüchtert liess ich mir für meinen dritten Berufswunsch etwas mehr Zeit. Umso überzeugter entschied ich mich dann für die Wissenschaft. Damit assoziierte ich intelligente Menschen, die Neues entdecken und die Welt verändern.
Von da nahmen die Dinge ihren Lauf: Am 150-Jahr-Jubiläum der ETH Zürich nahm ich an «Physics for kids and teens» teil, einem Programm des Departements Physik für Schulen. An jenem Tag interviewte ich auch einen Physik-Professor für eine Schularbeit. Der Besuch in den Labors der Physik beeindruckte mich tief. Langsam, aber sicher nahm für mich der Begriff Wissenschaft klare Konturen an, und alsbald stand fest, dass ich an der ETH studieren wollte. Ich informierte mich im Internet über die Studiengänge der ETH, besuchte eine ETH-Studienwoche und einen Studieninformationstag und begab mich eigenhändig an Vorlesungen, die mir ein Student vermittelt hatte. Ein halbes Jahr vor der Matura fasste ich meinen Entscheid: Ich wollte Maschinenbau studieren.
Bricht eine Frau in eine vermeintliche Männerwelt ein, werden viele hellhörig. Ob das denn erträglich sei? Beim ersten Blick in den Vorlesungssaal der Maschinenbauer war mir tatsächlich etwas mulmig zumute: Weit und breit sah ich nur Männer, Hunderte von Männern. Als ich den Blick dann aber im Raum ruhen liess, entdeckte ich doch die eine oder andere Frau. Ganze acht Prozent beträgt der Frauenanteil im Maschinenbau-Bachelor laut der ETH-Statistik für 2012. Eine dieser wenigen Frauen zu sein, hat mich trotzdem nicht beunruhigt: Obschon deutlich untervertreten, sind die Frauen im Studium nämlich präsent und untereinander gut vernetzt! Zum Beispiel treffe ich in der Vorlesung immer wieder männliche Mitstudenten, die mir nicht bekannt sind. Die Mitstudentinnen hingegen kenne ich fast alle – zumindest vom Sehen her. Eine der wenigen Frauen im Ingenieurstudium zu sein, fühlt sich in der Realität nicht so hart an wie es klingt, schliesslich werde ich respektiert und einbezogen. Und um den Lernstoff zu bewältigen, müssen alle üben und sich anstrengen – auch die Männer.
Warum aber gehöre ich mit meinem Berufswunsch zur Ausnahme? Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Spielen Buben von Natur aus lieber mit Autos? Oder gefallen sie ihnen nur, weil sie diese aus Gründen der Tradition von klein auf geschenkt bekommen? Meiner Auffassung nach hängen die Interessen einer Person nicht von deren Geschlecht ab. Sie werden vielmehr durch Charakter und Begabungen bestimmt, und für diese erachte ich Umfeld und Erziehung als mindestens so ausschlaggebend. Kulturelle Werte beeinflussen stark, wie Menschen denken und handeln. Gesellschaftliche Normen werden über Generationen weitergegeben und ändern sich nur langsam. Sie beginnen beim klassischen Familienmodell und reichen bis zu Kleinigkeiten im Alltag. Sie sind ein wichtiger Grund für die geschichtliche Dominanz der Männer in der Technik. An Althergebrachtes sind wir gewöhnt, und wir hinterfragen es wenig. Werte, Normen, Haltungen – sie alle schlagen sich in der Erziehung nieder. Eltern tragen heute dazu bei, wie morgen gedacht wird. In meinem Fall waren sie mit ein Grund, weshalb ich mir als Kind nie Gedanken darüber machte, ob Technik eine «Männerdomäne» sei oder nicht.
Damit ein technischer Berufswunsch für Frauen in Zukunft völlig selbstverständlich wird, müssen wir mit kleinen Schritten vorangehen. Darum machen Sie bitte beim nächsten Ausflug nicht nur die Buben, sondern auch die Mädchen auf Lokomotiven, Bagger und Helikopter aufmerksam. Ein kulturelles Umdenken ist gefragt.
Zur Person, LIMES und AMIV
LIMES (Ladies In Mechanical and Electrical Studies) ist eine Kommission des Akademischen Maschinen- und Elektro-Ingenieur Verein (AMIV), welche sich für gegenwärtige und zukünftige Studentinnen der Informationstechnologie und Elektrotechnik sowie Maschinenbau und Verfahrenstechnik engagiert.
Der AMIV wurde 1893 gegründet. Er vertritt als Fachverein die Studierenden der Departemente D-MAVT und D-ITET.
Vanessa Schröder engagiert sich im LIMES. Sie studiert Maschinenbau im Bachelor. Sie wuchs aufgrund ihrer argentinischen
und deutschen Abstammung zweisprachig auf, hauptsächlich in der Schweiz. Zudem
verbrachte sie ein Austauschjahr in den USA. Schröder spielt in ihrer Freizeit
gerne Klavier.
- 15.08.13: Kolumne Schröder: Blick erweitern
- 14.08.13: Kolumne Schröder: Keine Männerwelt
LESERKOMMENTARE