Veröffentlicht: 12.05.10
Science

Nerven unter Kontrolle

Damit sich Nervensignale im Körper ausbreiten können, brauchen sie eine Isolationsschicht. Diese besteht aus Myelin und muss für eine effiziente Übertragung eine bestimmte Dicke aufweisen. Die Proteine Dlg1 und PTEN kontrollieren im Zusammenspiel die Myelinschichtdicke, wie ETH-Forschende herausfanden. Ihre Studie ist in diesen Tagen in der Fachzeitschrift «Science» erschienen. Sie erhöht auch das Verständnis für neurodegenerative Erkrankungen wie der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung.

Christoph Meier
Nervenfasern bei der Signalübertagung. (Bild: iStockphoto)
Nervenfasern bei der Signalübertagung. (Bild: iStockphoto) (Grossbild)

Ein entscheidender Faktor für die Ausbreitung von Nervensignalen ist die Myelinschicht – auch Myelinscheide genannt –, welche die Axone umgibt. Die Axone sind die Nervenzellfortsätze, über welche Signale weiterlaufen. Gebildet wird die Myelinschicht im peripheren Nervensystem, also im Nervensystem ausserhalb von Gehirn und Rückenmark, durch die Schwannschen Zellen. Ist sie zu dick oder zu dünn, nimmt die Geschwindigkeit der Signalübertragung ab. Ist die Myelinschicht zu stark gestört, kann es zu Erkrankungen wie der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit kommen. Patienten leiden an zunehmender Schwäche von Händen und Füssen, die sich nach und nach auf die Arme und Beine ausbreitet. Manchmal führt sie sogar zu einem Leben im Rollstuhl.

Doch welche Moleküle kontrollieren die Dicke der Myelinschicht? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der ETH-Forschungsgruppen der Biologen Ueli Suter und Nicolas Tricaud nach. Die Antworten auf ihre Frage publizierten sie diese Tage online in einem Artikel in der Fachzeitschrift «Science».

Proteinbremse gegen Wachstum

Die Wissenschaftler mussten bei ihrer Suche nicht bei null anfangen. Sie hatten bereits früher ein Mausmodell für eine Unterart der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung entwickelt. Das Modell basiert auf einer Mutation im Gen für das Protein MTMR2 und führt zu einer Übermyelinisierung durch Schwannsche Zellen. Aus anderen Studien wiederum war bekannt, dass MTMR2 mit dem Protein Dlg1 interagiert.

In Versuchen in Zellkulturen und am Ischiasnerv von Mäusen konnten die Forscher nun zeigen, dass Dlg1 das Myelinwachstum bremst. Für seine Bremsfunktion benötigt es die Unterstützung eines weiteren Signalproteins, PTEN. Zusammen bewirken sie, dass das Wachstum der Myelinschicht in der Entwicklung der Maus nicht überschiesst. Wird die Bremse durch Unterdrückung von Dlg1 oder PTEN «gelöst», kommt es zu einem Myelinüberschuss, der nicht einfach nur zu einer überdicken Myelinschicht führt, sondern in einen Abbau derselben mündet. Dieser Prozess ist charakteristisch für verschiedene Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Das zeigte sich auch im Mausmodell der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit. Auch hier funktioniert die Dlg1-PTEN-Bremse nicht mehr.

Ueli Suter ist davon überzeugt, dass diese Arbeit hilft, die grundsätzlichen molekularen Mechanismen der Kontrolle der Myelinisierung zu verstehen. Damit liefert sie auch neue Ansätze, wie die Fehlleitung solcher Prozesse zu neurodegenerativen Erkrankungen führt und wie dies möglicherweise korrigiert werden kann.

Literaturhinweis:

Cotter L, Ozçelik M, Jacob C, Pereira JA, Locher V, Baumann R, Relvas JB, Suter U, Tricaud N: Dlg1-PTEN Interaction Regulates Myelin Thickness to Prevent Damaging Peripheral Nerve Overmyelination. Science. 2010 May 6. Epub ahead of print. DOI: 10.1126/science.1187735

 
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